Interview „Zwischen Erschöpfung und Hoffnung: Gerhard Ströck gibt ME/CFS eine Stimme”

Interview „Zwischen Erschöpfung und Hoffnung: Gerhard Ströck gibt ME/CFS eine Stimme”

Last Updated on 2024-08-19
Brigitta Schwarzer

ME/CFS ist eine unsichtbare Krankheit, die das Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt nachhaltig beeinflusst – auch in Österreich. Gerhard Ströck erklärt im Gespräch mit INARA, warum Betroffene und Angehörige dringend mehr Hilfe brauchen.

INARA: Die von Ihrem Vater 1970 gegründete Bäckerei Ströck ist heute ein Begriff. Obwohl ME/CFS zur gleichen Zeit von der WHO als neurologische Erkrankung klassifiziert wurde, ist die Öffentlichkeitswirksamkeit bescheiden. Woran liegt das?

Gerhard Ströck: Einer der Hauptgründe ist sicher das mangelnde Bewusstsein und die fehlende Aufklärung über ME/CFS in der Öffentlichkeit und auch im medizinischen Bereich. Die Krankheit ist nach wie vor wenig erforscht und wird oft missverstanden. Viele Menschen, darunter auch Ärzte, sind sich ihrer Existenz und ihrer Schwere nicht bewusst. Leider gibt es auch das ungerechtfertigte Stigma, dass Betroffene oft als Hypochonder oder Faulenzer abgestempelt werden. Die Symptome sind vielfältig und können sehr schwerwiegend sein, aber da sie kaum sichtbar sind, wird die Krankheit oft bagatellisiert.

INARA: Was hat Sie persönlich dazu bewogen, sich näher mit ME/CFS zu beschäftigen?

Gerhard Ströck: Zwei meiner drei Söhne sind seit Jahren an ME/CFS erkrankt, was uns als Familie vor viele Herausforderungen gestellt hat und stellt. Die Diagnose selbst, die in Österreich nicht anerkannt wird, war ein langer und schwieriger Prozess, danach folgten viele Jahre des Kampfes um Verständnis und eine adäquate medizinische Versorgung. Diese persönliche Erfahrung hat mir die Augen geöffnet für die Schwierigkeiten, mit denen Betroffene und ihre Angehörigen tagtäglich zu kämpfen haben. Meine Frau Gabriele und ich haben daher im Jahr 2020 die WE&ME Stiftung gegründet und mit einem Startkapital von einer Million Euro ausgestattet. Ziel ist es, die Grundlagenforschung zu fördern, die Öffentlichkeit für diese Krankheit zu sensibilisieren und die Versorgung der Betroffenen zu verbessern.

Wir haben bereits zahlreiche Informationsveranstaltungen und Pressekonferenzen organisiert und sind Kooperationen mit verschiedenen Organisationen (wie z.B. dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds – WWTF) eingegangen. Weitere Events und Kampagnen sind vorbereitet bzw. in Planung.

INARA: Was ist ME/CFS eigentlich?

Gerhard Ströck: ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Das ist eine schwere chronische Multisystemerkrankung, die das Nervensystem, das Immunsystem und die Energieproduktion des Körpers schwächt. Sie kann jeden treffen. Erkrankte Personen leiden unter extremer Erschöpfung, die sich auch im Ruhezustand nicht bessert, sowie unter einer Vielzahl weiterer Symptome wie Schmerzen, Schlafstörungen und kognitiven Beeinträchtigungen. Es ist wichtig zu betonen, dass ME/CFS keine psychische Krankheit ist, auch wenn es oft fälschlicherweise so dargestellt wird. Bis heute gibt es keine eindeutige Diagnose und nur sehr begrenzte Therapiemöglichkeiten. Eine der empfohlenen Strategien ist das Pacing, bei dem die Betroffenen lernen, mit ihrer Energie hauszuhalten und Überanstrengung zu vermeiden.

INARA: Wie viele Menschen sind in Österreich an ME/CFS erkrankt?

Gerhard Ströck: Man geht von bis zu 80.000 Erkrankten aus. Teenager und Personen bis Mitte 30 scheinen besonders gefährdet zu sein, mehr Frauen als Männer. Es wird vermutet, dass ME/CFS nach Virusinfektionen wie z.B. Corona auftritt. Während sich die Symptome bei Long Covid jedoch mit der Zeit bessern, ist der Verlauf bei ME/CFS genau umgekehrt.

INARA: Wie sieht die Betreuung der Erkrankten aus und was passiert, wenn es keine pflegenden Angehörigen gibt?

Gerhard Ströck: Die Betreuung von ME/CFS-Patienten ist sehr anspruchsvoll. Viele Betroffene benötigen die Unterstützung ihrer Familie, da sie oft nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. Stehen keine pflegenden Angehörigen zur Verfügung, sind die Erkrankten auf ambulante Pflegedienste oder stationäre Einrichtungen angewiesen, die jedoch meist nicht auf ihre besonderen Bedürfnisse vorbereitet sind. Ihr Leidensweg ist lang und beschwerlich, auch weil sie oft mit Unverständnis konfrontiert sind.

INARA: Wie weit ist die Forschung zu ME/CFS und was erwarten Sie in den nächsten drei, fünf oder zehn Jahren?

Gerhard Ströck: Die Forschung zu ME/CFS hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, aber es gibt noch viel zu tun. Mit den Mitteln der WE&ME Stiftung hoffen wir, die Forschung weiter vorantreiben zu können. In den nächsten drei bis fünf Jahren hoffen wir, mehr über die Ursachen der Krankheit zu erfahren und bessere Diagnosemöglichkeiten zu entwickeln. Langfristig hoffen wir, wirksame Therapien zu finden, um die Lebensqualität der Betroffenen deutlich zu verbessern.

INARA: Der verfügbare Praxisleitfaden zu ME/CFS ist für Laien schwer verständlich. Wie könnte man zu einem Ratgeber kommen, der sprachlich und inhaltlich einfacher, klarer und verständlicher ist?

Gerhard Ströck: Ein verständlicher Leitfaden ist wichtig, um Betroffene und ihre Angehörigen besser unterstützen zu können. Wir überlegen, wie wir bestehendes Informationsmaterial vereinfachen und übersichtlicher gestalten können. Eine Möglichkeit wäre die Zusammenarbeit mit Experten und Betroffenen.

INARA: Wie kann das Thema ME/CFS mehr in die Öffentlichkeit getragen werden?

Gerhard Ströck: Dies kann durch noch mehr Medienberichte, Aufklärungskampagnen und die Zusammenarbeit mit prominenten Unterstützern geschehen. Unsere Stiftung wird weiter daran arbeiten, das Thema in den Fokus der Gesellschaft zu rücken.

INARA: Hat Ihre Stiftung genug Geld für alle Vorhaben?

Gerhard Ströck: Da die Forschung zu ME/CFS noch in den Kinderschuhen steckt, befürchten wir, dass die Mittel der Stiftung nicht ausreichen werden, um unsere Ziele zu erreichen. Wir brauchen daher dringend Sponsoren, die der WE&ME Stiftung weiteres Kapital in Form von (abzugsfähigen) Spenden zur Verfügung stellen. Wir freuen uns über jeden Euro, aber auch größere Beträge sind herzlich willkommen.

https://www.weandmecfs.org/de/


@ Lukas Lorenz