Wer die Kuh melken will, der muss sie auch füttern

Wer die Kuh melken will, der muss sie auch füttern

Last Updated on 2024-06-27
Dr. Heinz Kienzl, 22.10.2018

Das wirtschaftspolitische Erbe zweier Gewerkschaftspräsidenten.

In der Zweiten Republik hatten wir zwei Gewerkschaftspräsidenten – Johann Böhm und Anton Benya –, die wirtschaftspolitische Weichenstellungen vornahmen, die nicht nur in ihrer Amtszeit lebenswichtig waren, sondern bis heute fortwirken. Der Kampf gegen die Inflation war Johann Böhm besonders wichtig gewesen. Denn er wusste, ohne eine stabile Währung kann es keinen erfolgreichen Wiederaufbau geben.

In den Lohn- und Preisabkommen wurde der Grundstein für die spätere Sozialpartnerschaft gelegt und Anfang der 1950er-Jahre eine Wirtschaftspolitik betrieben, die ein Wirtschaftswachstum ermöglichte und der österreichischen Exportwirtschaft das nötige Potenzial verschaffte, um international konkurrenzfähig zu werden.

Als Österreich Hilfe im Rahmen des amerikanischen Marshallplans zugesagt erhielt, wollten viele am Hungertuch nagende Österreicher lieber Lebensmittel als Maschinen. Böhm aber entschied: „Zuerst müssen wir produzieren, erst dann können wir auch konsumieren!“

Mit dieser Aussage machte er sich nicht beliebt. Im Gegenteil, es gab Demonstrationen gegen ihn. Aber zehn Jahre später, als das „kleine Wirtschaftswunder“ einsetzte, die Vollbeschäftigung in die Nähe rückte und die Realeinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunahmen, gaben seine Kritiker zu: „Der Böhm Schani hat doch recht gehabt!“

Anton Benyas Formel

Anton Benya setzte die Politik von Johann Böhm fort. Die Vollbeschäftigung konnte aufrechterhalten und gesichert werden und die österreichische Wirtschaft ging auf Überholspur.

Nicht unerwartet tauchte dann die Frage der Verteilung des Sozialproduktzuwachses auf. Die Gewerkschaftsformel war: Zwei Drittel für die Arbeitnehmer, ein Drittel für die Unternehmen. Benya formulierte dies sehr bildlich: „Wenn wir die Kuh melken wollen, müssen wir sie auch füttern!“

In den 1970er-Jahren entwickelte sich aber eine Weltanschauung, aufbauend auf den Behauptungen des Club of Rome, dass ein weiteres Wirtschaftswachstum infolge Rohstoffmangels, zum Beispiel Kupfer oder Quecksilber, bald zu einem Ende kommen müsse.

Was einst gegolten hat.

Inzwischen sind 50 Jahre seit den Voraussagen des Club of Rome vergangen, und noch immer baut die Gewerkschaftsbewegung ihre Forderungen nach Einkommenserhöhung (nach der Benya-Formel) auf den positiven Wachstumsprognosen auf. Die Pessimisten haben aber nicht aufgegeben und manche sehen die Zukunft in einer Umverteilung der hohen Vermögen – und zwar über Besteuerung.

Aktuell werden von der jetzigen Regierung Steuersenkungen versprochen. Beziehern niedriger Einkommen, die keine oder nur sehr geringe Steuern zahlen, kann so aber nicht geholfen werden. Nicht zufällig erwarten sich 50 Prozent der Lohneinkommensbezieher die Verbesserung ihrer finanziellen Lage von gewerkschaftlichen Lohnbewegungen. Von den Parteien und der Regierung sind es gerade halb so viele, die sich da etwas erwarten.

Was einst gegolten hat, gilt auch heute: Die österreichische Wirtschaft muss mit modernsten Produktionsmethoden ausgestattet sein, um international konkurrenzfähig zu bleiben und auch in der Lohn- und Sozialpolitik darf man nicht übers Ziel schießen.

Denn sobald man einmal international nicht mehr konkurrenzfähig ist und ein Leistungsbilanzdefizit hat, kommt man schwer wieder hoch. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Griechenland, ein drohendes ist Italien!

Dr. Heinz Kienzl (1922 – 2020) war von 1973 bis 1988 Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank

Quelle: https://www.diepresse.com/5517146/wer-die-kuh-melken-will-der-muss-sie-auch-fuettern